Der Softwaresektor der Betriebssysteme ist seit Jahren festgefahren. Auf der einen Seite gibt es die Privatanwender, die zu über 90% auf Windows aus dem Hause Microsoft setzen. Auf der anderen Seite gibt es den Server- und Businessmarkt, der von den verschiedenen Linux-Distributionen dominiert wird. Nun könnte vielleicht, wie schon seit langem von verschiedenen Kartellwächtern gewünscht, von gänzlich unerwarteter (oder auch nicht) Seite Bewegung in diese starren Strukturen kommen. Der Internetgigant Google hat gestern Nacht die Entwicklung eines eigenen OS bekanntgegeben, dessen Marktreife bereits für die zweite Jahreshälfte 2010 in Aussicht gestellt wurde. Das vorläufig „Google Chrome OS“ genannte Projekt hätte damit nicht nur eine extrem kurze Entwicklungszeit für ein Betriebssystem sondern steckt sich auch äußerst ehrgeizige Ziele in Bezug auf Sicherheit, Einfachheit und Schnelligkeit der Software. So redet Google vollmundig von einer (niemals erreichbaren) Immunität gegen Viren und Exploits. In wie weit Google diesem Ziel auch nur nahe kommen kann dürfte erst eine „technical preview“ oder eine Alpha aus Mountain View zeigen.
Definitiv fest steht aber schon der Preis des neuen OS: Es wird dem Anwender, wie fast alle Google-Produkte, kostenlos angeboten werden. Da ein Softwareprojekt dieser Größenordnung aber Millionen verschlingt dürfte die Finanzierung über den Handel mit Benutzerdaten- und Vorlieben sowie Werbung (immerhin ist Google auf beiden Gebieten absoluter Spezialist) erfolgen. Dies dürfte besonders sicherheitsliebende Anwender abschrecken – und solche, die Wert auf ihre Privatssphäre legen. Wie gefährlich eine umfassend informierte und mit nahezu unendlichen Geldreserven ausgestattete Industrie ist macht der Kurzfilm „Epic2015“ klar.
Über Erfolg oder Misserfolg des Systems wird dieser Aspekt wohl nicht entscheiden sondern wahrscheinlich nur eine untergeordnete Rolle spielen, solange das Thema nicht von denen mit Google in Konkurrenz stehenden traditionellen Medien hochgepusht wird. Viel mehr wird entscheidend sein, wie gut das neue System mit existierender Software klarkommt, ob es genügend Anwendungen gibt und (für Spieler) ob sich Google mit Microsoft über eine Implementierung von DirectX einigen kann.
//Update:
Wie heute bekannt wurde soll der Kern von Chrome OS ein modifizierter Linux-Kernel sein. Damit würde sich auch die extrem kurze Entwicklungszeit erklären, da der Kern das eigentlich Schwierige an einem OS ist. Alle Komponenten „drumherum“ sind nicht annähernd so aufwändig wie der Kernel. Zunächst soll das Betriebssystem für x86- und ARM-Prozessoren entwickelt werden, aufgrund des Linux-Kernels ist aber durchaus von einer nachträglichen Portierung auf andere Plattformen auszugehen.
Mit der Entscheidung für einen Linux-Core wird Google dem neuen OS allerdings höchstwahrscheinlich noch lange vor seinem Erscheinen den Todesstoß versetzt haben, zumindest für den Massenmarkt außerhalb der angepeilten Netbooks-Sparte.